Die Technik ist uralt. Bereits im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts hat sie der Benediktinermönch Theophilus Presbyter in seiner Schedula diversarum artium, einer Schriftensammlung zu den damaligen Kunsttechniken, beschrieben. Schon damals arbeiteten zahlreiche Meister mit Glas und Farbe, um das Zusammenspiel von Bild und Licht effektvoll zu nutzen. Ihre Geschicklichkeit im Umgang mit Grisaille – und ab dem 14. Jahrhundert mit Silbergelb – trug zu ihrem Ruhm bei. Blieben die ältesten dieser Künstler anonym, wurden die jüngeren berühmt und für die Kunstgeschichte prägend. So standen sie beispielsweise in Siena im späten 13. Jahrhundert noch im Schatten des Malers Duccio di Buoninsegna (um 1255–1318/19), der ihnen um 1287/88 den Karton für die Glasfenster in der Apsis des Doms geliefert hatte. Im 17. Jahrhundert jedoch waren Glasmaler wie Engrand Leprince (gest. um 1531) und Arnaud de Moles (1470–1520) genauso berühmt wie die zeitgenössischen Fresken- oder Tafelbildmaler. Sie schufen ihre Glasfenster nicht mehr nach den Kartons anderer Künstler, sondern kreierten diese nun auf der Grundlage eigener Vorlagen.
In der Neuzeit verlor die Kunst der Glasmalerei jedoch ihren hohen Stellenwert. Es entstanden kaum noch großformatige Glasgemälde und die wenigen noch aktiven europäischen Glasmaler orientierten sich motivisch oft an populären Druckgrafiken. Antoine-Joseph Pernety (1716–1796), ein Benediktinermönch der Kongregation des heiligen Maurus, bekannt unter dem Namen Dom Pernety, bedauerte diese Entwicklung. In seinem 1757 veröffentlichten Traité pratique des différentes manières de peindre hielt er fest, dass, obwohl die Glasmalerei früher sehr geschätzt gewesen sei, kaum ein Maler seiner Zeit diese Kunst noch beherrsche, und ergänzte seine Aussage um eine Beschreibung der Technik.
Wo Glasmalerei noch geschätzt war, stand am Anfang jedes Bildes die Herstellung von unterschiedlich farbigem Flachglas, das man auf die gewünschte Form zuschnitt und mithilfe von Bleiruten aneinanderfügte. Die Glasstücke wurden ausschließlich mit Schwarz bemalt, wobei unterschiedliche Nuancen mittels Schraffuren und Punkten erzielt werden konnten. Eine andere Technik bestand darin, die gesamte Glasfläche mit einer Mischung aus schwarzer Farbe und Gummiarabikum zu bedecken und diese nach dem Trocknen mit einer großen, etwas abgerundeten Feder dort wegzunehmen, wo die Farbe durchscheinen sollte. Für Halbtöne wurde die schwarze Schicht in mehr oder weniger engen Schraffuren entfernt und somit dieselbe Wirkung wie bei Kupferstichen erzielt. Nach Abschluss dieses anspruchsvollen Vorgangs wurde das Glasstück in einen Ofen gelegt, um das Bild dauerhaft einzubrennen. Ein solches Zeichnen mit der Feder erfordert äußerste Sorgfalt. Wird zuviel Schwarz abgetragen, wirkt die Zeichnung flach, und bei einer falschen Bewegung muss die Arbeit von neuem begonnen werden.
Thilo Westermann beherrscht die Kunst im Umgang mit der schwarzen Farbe noch immer und besitzt die erforderliche Geschicklichkeit, die Tradition erfolgreich fortzusetzen. Wie die alten Meister überzieht er das Glas mit einer schwarzen Schicht und macht sich anschließend an das sorgfältige Radieren seiner Motive. Mit seiner Nadel setzt er jedoch keine Schraffuren, sondern einzelne Punkte – unzählige Lichtpunkte, die sich zu Blumen, Kristall- oder Porzellanvasen und Gelehrtensteinen zusammenschließen. Die Wirkung ist überwältigend, nicht nur weil er ausschließlich mit dem Licht arbeitet, sondern auch weil es ihm gelingt, seinen Werken die Leichtigkeit der Blütenblätter, die Zartheit der Blütenkronen und die Transparenz der facettierten Glasvasen einzuschreiben.
In seinem Bestreben, die Natur nachzuahmen, erinnert mich Thilo Westermann an den aus Prag stammenden Meister Wenzel Hollar (1617–1677), der im 17. Jahrhundert ebenfalls täuschend echte Bilder schuf. Die von ihm bevorzugte Technik der Radierung ist jener der Hinterglasmalerei nicht unähnlich. So wird hierfür zuerst eine polierte und gebeizte Metallplatte mit Firnis überzogen und mit Rauch geschwärzt. Anschließend zeichnet der Künstler mit einer Nadel in den vorbereiteten Untergrund, wobei er den Firnis einritzt und damit das Metall freilegt. Das Bild zeichnet sich dabei in dem schwarzen Grund ab und kann entsprechend geformt werden. Dann wird die Platte in eine Lösung aus Wasser und Salpetersäure eingetaucht, sodass die freigelegten Stellen der Metallplatte geätzt werden. Zum Schluss wird die Platte mit Wasser gereinigt, mit Papier getrocknet und der Firnis entfernt. Sie kann nun für den Abdruck auf Papier eingefärbt werden. Das Ergebnis ist das Gegenteil von Westermanns Werken, denn die Zeichnung ist schwarz und resultiert weder aus der Transparenz des Materials noch aus dem Spiel des Lichts.
Zwischen 1642 und 1647 schuf Hollar eine Reihe herausragender Radierungen, die Pelzmuffe zeigen. Es handelt sich dabei um Trompe-l’Œil-Stillleben, die den Glanz und die samtige Oberfläche der Pelze perfekt wiedergeben. Die subtil abgestuften Töne, der zarte Gegensatz mit dem weißen oder cremefarbenen Papier und die Schatten, die die Konturen der Muffe betonen, lassen den Pelz so echt wirken, dass man am liebsten das Papier berühren möchte, um festzustellen, ob es sich um eine Augentäuschung oder um reale Gegenstände handelt. Geht es uns bei den Werken Thilo Westermanns nicht ganz ähnlich? Hollar spielte mit dem Schwarz, Westermann spielt mit dem Licht. Hollar benutzte Schraffurlinien, Westermann benutzt Punkte. Fordern wir Letzteren also dazu auf, für die Nachwelt das Gegenstück zu Wenzel Hollars Muff zu kreieren – mithilfe des Lichts.
Übersetzung: Marcel Saché
Publiziert in Vitromusée Romont (Hg.), Thilo Westermann et l'art de dessiner sous verre, Berlin/Boston 2022, S. 109–111.