Shao-Lan Hertel  Unter der spiegelnden Oberfläche: Thilo Westermanns Hinterglasbilder im Licht der Kunst antiker chinesischer Bronzespiegel (2022)

Zwischen Oberfläche und Bedeutung: Was sehen wir in Thilo Westermanns Bildern?

Ganz oberflächlich betrachtet sehen wir die Entwicklungen und Ergebnisse eines beständigen schöpferischen Prozesses, der im Lauf der Zeit allmählich und kontinuierlich herangereift ist. Durch die kritische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Form, Inhalt, Medium und Motiv sowie damit, wie sich diese Beziehungen durch künstlerische Erfindungen und Eingriffe verändern, hat Westermann Kunstwerke hervorgebracht, die nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch visuell komplex und konzeptuell raffiniert sind. Die äußerst aufwändigen und zeitintensiven Arbeitsschritte, die mit der Erschaffung solch scheinbar perfekter und auf technischer Präzision, analytischen Fähigkeiten und außergewöhnlicher Handfertigkeit beruhenden Kunstwerken einhergehen, bleiben größtenteils verborgen. Vor unseren Augen erscheint etwas vollkommen Makelloses, Unverfälschtes, wie aus sich selbst heraus Entstandenes. Die glänzende Oberfläche, die verführerischen Bilder in Bildern und die Bildsprache, die Objekte der Begierde hervorbringt, als wären es glamouröse Ikonen auf dem Cover eines Luxusmodemagazins, die unsere Berührung wie die Kräfte eines polaren Feldes anziehen und zugleich abstoßen, verleihen diesem spiegelnden „Etwas“ höchste Anziehungskraft. Westermanns Bilder sind von Natur aus anziehend, weil sie illusorisch, allusiv und flüchtig sind und sich somit unserem direkten Zugriff entziehen.

„Bei der Hinterglasmalerei entdeckte ich, dass die Glasscheibe das dahinter Abgebildete zeigt, es jedoch zugleich dem direkten Zugriff entzieht. Wie in einem Schaufenster oder einer Vitrine werden meine Stillleben so zwar ausgestellt, zugleich aber auch geschützt.“1

Was also sehen wir in Westermanns Arbeiten, hinter der spiegelnden Oberfläche der Glasscheibe? Darauf gibt es natürlich keine allgemeingültige Antwort, sondern die möglichen Antworten sind – ganz im Gegenteil – geradezu unendlich. Wir könnten so eine sehr lange und interessante Liste all jener Dinge erstellen (zum Beispiel im Gästebuch eines Museums), die Ausstellungsbesucher: innen in Westermanns Arbeiten sehen. Genau das will dieser Aufsatz nun beitragen: eine weitere Betrachtungsweise von Westermanns Arbeiten, allerdings aus der spezifischen Perspektive einer Wissenschaftlerin, die auf die Kunstgeschichte Ostasiens sowie auf Kunst und Kunsthandwerk aus China spezialisiert ist.

Wie selbst uneingeweihte Ausstellungsbesucher:innen leicht erkennen werden, weist Westermanns Werk Verbindungen zur chinesischen Kunst auf. Häufig beinhalten seine Arbeiten explizite optische Referenzen auf bestimme chinesische Bildmotive, symbolische Ikonografien, Objekttypen und Materialformate. So finden sich in seinen ikonischen Hinterglasbildern etwa typische Darstellungen chinesischer Orchideen und Pfingstrosen (oft zusammen mit chinesischen oder chinoisen Keramikgefäßen), klassische Motive und Themen der literati (Weisen) wie Gelehrtensteine oder Bambus und menschliche Figuren, die sich auf der Oberfläche einer Vase vor dem pittoresken Hintergrund chinesischer Gefäßformen befinden.

Angesichts dieser kulturübergreifenden Verbindungen möchte ich im Folgenden einen Horizont für mögliche Interpretationen von Westermanns Hinterglasbildern aus der Perspektive der historischen chinesischen Kunst skizzieren. Die Erörterung der einzelnen in Westermanns Bildern zentralen chinesischen Motive überlasse ich dabei der kunsthistorischen Analyse der jeweiligen ikonografischen Tradition und ikonologischen Symbolik der chinesischen Kultur.2 Stattdessen werde ich die Geschichte der chinesischen Kunst und des chinesischen Kunsthandwerks zu Hilfe nehmen, genauer gesagt die traditionelle Gattung der Bronzespiegel (tongjing 銅鏡),3 um näher auf bestimmte materialtechnische, ästhetische und konzeptuelle Aspekte von Westermanns Hinterglasarbeiten einzugehen. Die Bronzespiegel, die von vorne wie von hinten betrachtet werden können, bilden eine spezielle Gattung, innerhalb derer die Kunst des Bronzegusses im Lauf der Zeit verschiedene Arten hervorgebracht hat. Ich werde sie nun in ihren Eigenschaften als Spiegel hervorheben und ihre Bedeutung als reflektierende und projektive Instrumente der Vorstellung, Imagination und Gestaltung des Selbst untersuchen, um einen fragmentarischen Blick auf Westermanns Werk zu werfen.

Den Begriff des fragmentarischen Blicks benutze ich hier absichtlich, da meine Untersuchung nicht mehr (aber auch nicht weniger) als eine von vielen Betrachtungsmöglichkeiten darstellt. Die Bronzespiegel bilden nur eine von weiteren Gattungen der chinesischen Kunst, die ebenso nützliche Perspektiven auf Westermanns Hinterglasbilder bereithalten, deren Erörterung jedoch den Umfang der vorliegenden Untersuchung sprengen würde. Um mögliche zukünftige Untersuchungen und Forschungen anzuregen, sei an dieser Stelle dennoch darauf verwiesen.4 Mag meine Wahl daher zunächst willkürlich erscheinen, erfolgte sie jedoch nicht ohne Grund. Sowohl bei den chinesischen Bronzespiegeln als auch bei Westermanns „Spiegeln“ sind nämlich zwei Aspekte von zentraler Bedeutung: jener des handgefertigten Bildes, das auf der Rückseite (der Oberfläche) der Objekte eingeschrieben ist, und jener des menschlichen Spiegelbildes, das auf der Vorderseite der Objekte erscheint und dabei die Betrachtung des Objekts selbst verändert. Das Zusammenspiel und die Verstrickung der beiden Aspekte – Vorderseite und Rückseite – lässt sich durch die Gegenüberstellung zweier Werke verdeutlichen: Westermanns Fotomontage „Bougainvillea“ und „Vanda coerulea“ bei einem Sammler, Maremma 2016 (2017), in der sich der Fotograf selbst spiegelt,5 und eines der frühesten Beispiele eines chinesischen Bronzespiegels, dessen Rückseite die bildhafte Darstellung eines menschlichen Gesichts mit weit geöffneten Augen aufweist, die direkt in jene des Betrachtenden zu blicken scheinen. Beide Arbeiten erwidern und spiegeln unseren Blick, wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Bronzespiegel in China: Entstehung und Funktion

Die frühe westliche Forschung zu chinesischen Bronzespiegeln hielt fest: „Es muss hervorgehoben werden, dass die chinesischen Bronzespiegel der großen Zeit – von der späten Zhou- bis zur Tang-Dynastie (um 550 v. Chr. – 900 n. Chr.) – selten nur reine Spiegel im heutigen Verständnis waren. Natürlich dienten einige der Eitelkeit, doch der Hauptzweck war ritueller sowie magischer Natur und die Dekoration auf den meisten dieser Spiegel hatte symbolische Bedeutung, die auf diesen grundlegenden Einsatz verwies.“6

Während die frühesten Ursprünge der Bronzespiegel in China noch immer diskutiert werden, ist bekannt, dass ihre Herstellung in größerem Umfang und ihre Nutzung erstmals in der Zeit der Streitenden Reiche (475–221 v. Chr.) florierte.7 Während dieser Epoche waren aus Bronze gegossene Gegenstände, darunter auch die antiken Spiegel, hinsichtlich ihrer Funktion und Bedeutung einem Wandel unterworfen: von anfänglich zeremoniellen Instrumenten, die in den rituellen Kulten der Shang- und westlichen Zhou-Dynastien zum Einsatz kamen, hin zu Luxusgütern, die hohen sozialen Status und ästhetische Raffinesse verkörperten. Bei den Bronzespiegeln ging dieser Wandel auch mit einer neuen Form der Selbstwahrnehmung und der gesteigerten Aufmerksamkeit für das eigene physische Erscheinungsbild einher.8 Im Lauf der Jahrtausende und nach weiteren Höhepunkten in der inländischen Produktion und Verbreitung während der Han- (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) und Tang- Dynastien (618–907) wurden Bronzespiegel zu wichtigen internationalen Handelsgütern. Die Küstenregionen von Chinas südöstlicher Provinz Zhejiang entwickelten sich dabei etwa zum herausragenden Produzenten auf dem inländischen wie internationalen Markt.9 In jüngerer Zeit entsprachen die Bronzespiegel dem Geschmack und der Vorliebe für Antiquitäten. Um sie von den modernen Glasspiegeln zu unterscheiden, führte man die Bezeichnung „antike Spiegel“ (gujing古鏡) ein.10

Bezeichnenderweise müssen die verschiedenen Formate, Funktionen und Bedeutungen von Spiegeln im chinesischen Kontext als eng verbunden mit ihrem symbolischen Wert als „mächtige und beständige Metaphern“ betrachtet werden, deren runde Form mit dem Mond assoziiert wurde und die „als Medium für die Kontemplation über Licht, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, Perspektive und Gefühl dienten […].“11 Susan Costello fügt hinzu: „Spiegel hatten viele Verwendungszwecke, die sowohl praktischer als auch spiritueller Art waren. Sie fingen Reflexionen ein, die man zuvor nur auf der Oberfläche stillstehender Gewässer gesehen hatte. Wie auch heute wurden diese spiegelnden Oberflächen als Toilettenspiegel genutzt. Schon früh begannen Handwerker mit der Herstellung konvexer Spiegel, die die Größe der Reflexion reduzierten, damit man sein Gesicht in der richtigen Proportion sehen konnte.“12

Man kann sich vorstellen, wie der Augenblick der Reflexion und Projektion, den das eigene Ich beim Betrachten seines Spiegelbildes erlebte – bewusst oder unbewusst – Assoziationen zum Mond, zum Wasser und selbst zum Himmel hervorrief und so die Selbstwahrnehmung des eigenen Gesichts beeinflusste.13 Es ist davon auszugehen, dass dieses selbstbeobachtende Moment der Reflexion und Projektion eine Erweiterung erfuhr, da die Spiegel in der Hand gedreht werden können und so, als Objekt betrachtet, ihre Rückseite präsentieren. Während die Vorderseite der Bronzespiegel glanzpoliert war, um eine reflektierende Oberfläche zu erzeugen, wurden auf der Rückseite für gewöhnlich dekorative Muster aufgebracht, die besonders im Fall früher Spiegel voller Symbolismus stecken.14 „Für die alten Chines:innen war [also] die Bedeutung der Muster auf der Spiegelrückseite zentral und die Gewandtheit oder Subtilität, mit der deren Botschaft ausgedrückt wurde, machte das gelungene Werk aus.“15

In der Kunstgeschichte wurde die reiche und komplexe Bandbreite der Dekore, Techniken und Materialien untersucht, die die Gattung der chinesischen Bronzespiegel in China im Lauf der Zeit geprägt haben. Neben dem oben genannten Beispiel der Darstellung eines menschlichen Gesichts ist eine schöne Sammlung an Bronzespiegeln aus der Xia- (um 2070–1600 v. Chr.) über die Shang- (um 1600–1046 v. Chr.) bis hin zur nördlichen Song-Dynastie (960–1127) zu erwähnen, die sich heute im Tsinghua University Art Museum (TAM) in Beijing befindet. Auf der Rückseite solcher Spiegel ist üblicherweise ein Knauf angebracht, durch den eine Schnur oder Kordel gefädelt wurde. Daneben sind dort geometrische und ornamentale Muster zu finden, aber auch kosmologische Bilder, gegossene Inschriften (oft von Glück verheißender, abergläubischer oder kultisch verehrender Natur), farbig gefasste Dekore, symbolische Motive glückbringender Blumen, Pflanzen, Tiere und mythologischer Figuren sowie religiöse Themen einschließlich Motive der buddhistischen und taoistischen Ikonografie. Aus dieser Auswahl sticht ein Spiegel aus der nördlichen Song-Dynastie heraus, der aufgrund seiner rechteckigen Form auffällt und dessen komplexe Gestaltung und Gusstechnik in der Tuscheabreibung auf Papier nachvollziehbar wird. Er ist in unserem Zusammenhang auch aufgrund des Motivs der blühenden Pfingstrosen bemerkenswert, die uns bereits aus Westermanns Kunstwerken geläufig sind.

Mit dem technologischen Fortschritt wurden über die Jahrhunderte hinweg vollendete Verzierungen mittels Gold- und Silbereinlegearbeiten oder raffinierter Treibarbeiten entwickelt. Darüber hinaus kamen auch andere kostbare Materialien wie Türkis, Perlmutt oder Lack zum Einsatz. Was die historische Entwicklung in China betrifft, so florierte die Herstellung von Bronzespiegeln besonders ab der Zeit der Streitenden Reiche bis hin zur Tang-Dynastie. Erst als in der späten Ming-Dynastie (1368–1644) bestimmte Kunstformen und -handelswaren wie Kalligrafie oder Tuschegemälde in Form von Rollbildern, Bildrollen zum Handgebrauch, Alben oder Faltfächern als mondäne Kostbarkeiten und modische Raritäten gefeiert wurden und als Vermittler vormoderner Populärkultur und gesellschaftlichen Prestiges emblematische Bedeutung erlangten, ebbte die Herstellung und Verbreitung der nun als „lokal“ gebrandmarkten Bronzespiegel ab.16 Sie wurden somit „allmählich von ihren Konkurrenten aus Glas von der anderen Seite der Welt verdrängt“.17 Ausgehend von der Annahme, dass „ausländische Dinge, die gegen Ende der Ming-Dynastie in China eingeführt wurden, auf einen Markt trafen, der in höchstem Maße bereit für die Aufnahme von Neuheiten war“,18 kann festgehalten werden, dass auch die chinesische Glasindustrie in der frühen bis mittleren Qing-Dynastie (1644–1911) sowohl am kaiserlichen Hof als auch beim einfachen Volk große Beachtung fand. Die weite Verbreitung bestimmter Objekte aus Glas wie Glasspiegel oder auch Hinterglasbilder belegt den damit verbundenen ästhetischen und sozialen Status, aber auch ihre kulturübergreifende Bedeutung und ihren Wert als begehrte Exotika und prestigeträchtige Symbole frühneuzeitlicher Materialkultur, die China mit dem Westen verband.19

Der Blick gemalter Spiegelbildnisse in die Vergangenheit

Drei Bildrollen aus der Ming- und Qing-Dynastie, die heute in der Gemäldesammlung des TAM aufbewahrt werden, veranschaulichen lebhaft einige Kontexte und Anwendungsbereiche, in denen Spiegel von Hersteller:innen und Rezipient:innen bestimmter historischer Epochen, sozialer Gruppen und kultureller Kreise verwendet und mit Bedeutung versehen wurden. Die ersten beiden Beispiele sind Figurenporträts des Genres der sogenannten „Gemälde schöner Frauen“ (meirenhua 美人畫), das von der späten Ming- bis in die Qing-Dynastie hinein florierte und darauf abzielte, sowohl moralisch tugendhafte als auch physisch attraktive Frauen von oft adeliger oder kaiserlicher Herkunft in idealisierter Form darzustellen. Das jüngere Beispiel, Porträt einer Dame (Shinü tu 仕女圖) von Ren Xun 任熏 (1835–1895) zeigt eine junge sitzende Aristokratin, die sich an ihrem Frisiertisch zurechtmacht. Während die kostbaren Jadeobjekte auf dem Tisch sowie dem Hochtisch im Hintergrund und im Haar der Porträtierten auf deren wohlhabenden Status hinweisen, zeigen die Wurzelholz- und Bambusmöbel eine kultivierte Vorliebe für die Stile und Moden an, die damals en vogue waren. Diese Präferenz spricht auch aus dem großen runden Spiegel, der sich mittig auf dem Tisch der Dame befindet und der nicht aus antiker Bronze, sondern aus modernem Glas gefertigt ist. Anstatt sich im Spiegel zu betrachten, blickt die Porträtierte jedoch verführerisch aus dem Bild heraus. Wir sehen den Spiegel hier in jener Funktion, die uns heutzutage am vertrautesten ist: als Instrument der Eitelkeit.

Das ältere Beispiel dieses Genres, Porträt einer Dame mit einem Spiegel in der Hand (Chi jing shinü tu 持鏡仕女圖) von Chen Hongshou 陳洪綬 (1599– 1652), zeigt ebenfalls eine Adelige mit Spiegel. Diese steht nun aber im Freien unter einem blühenden Baum und inmitten einer natürlichen Umgebung aus Felsen und Büschen. Sie hält einen blumenförmigen Bronzespiegel, der sich durch den Knauf auf der Rückseite und die blau-grüne Patina als solcher zu erkennen gibt. Der Blick der Dargestellten ist jedoch weder auf den Spiegel noch auf den oder die Betrachter:in gerichtet, sondern schweift in die Ferne außerhalb des Bildfeldes. Die Dame scheint in Gedanken versunken, vielleicht schwelgt sie in längst vergangenen Erinnerungen. Ihr melancholischer Ausdruck und die Intimität der Szenerie machen den Spiegel auf lyrische und metaphorische Weise zum Symbol persönlicher Sehnsucht und Erinnerung. Tatsächlich findet die Poesie dieser Spiegelszene im Kolophon links oben buchstäblich Ausdruck: „Dreihundert Pfirsichbäume werden angepflanzt; sie sind von herrlicher und außergewöhnlicher Farbe. Wie schon über die Paläste der Han gesagt wurde, streiten die Schönen vergebens und kämpfen für sich allein.“20

Diese Zeilen lassen eindeutige Bezüge zur klassischen chinesischen Poesie erkennen, die das tragische Schicksal sowie die Klagen und Nöte der Palastdamen seit der Han-Dynastie beschreibt. Sie spielen auf die Werke so berühmter Dichter der Tang-Dynastie wie Bai Juyi 白居易 (772–846), Liu Yuxi 劉 禹錫 (772–842) und Zhang Hu 張祜 (um 792–um 853) an, die von Missgunst und Konkurrenzkampf unter den Hofdamen im kaiserlichen China berichten. Der Künstler Chen Hongshou schuf somit ein Porträt, in dem der Spiegel als Projektionsfläche nicht nur des individuellen, sondern auch des kollektiven Gedächtnisses Funktion und Bedeutung erlangt und als solche einen Einblick in Chinas kulturelle Vergangenheit gewährt.21

Das Gemälde Darbietung des Kalmusweins in Erwartung des Wohlwollens (Pu shang yao fu tu 蒲觴邀福圖) von Qian Hui‘an 錢慧安(1833–1911) aus der späten Qing-Dynastie zeigt den mythischen Gott und Beschützer Zhong Kui 鍾馗, wie er in einen Bronzespiegel blickt. Seine jüngere Schwester befindet sich zu seiner Rechten, ihr neugeborener Sohn sitzt auf seinem Schoß. In der chinesischen Kultur weithin als Dämonenbezwinger verehrt, gilt Zhong Kui als Glücksbringer, der unter anderem mit dem jährlichen Drachenbootfest in Verbindung steht (hierauf verweisen auch das Kind und der Kobold, die ihm Wein in einem rituellen Gefäß vom Typ jue 爵 sowie einen Teller frisch gepflückter chinesischer Mispeln darreichen).22 Inmitten des detailreichen Szenarios, das an die typischen Studierstuben und Gärten der Gelehrten der Qing-Dynastie erinnert, und umgeben von verschiedenen glückverheißenden Kreaturen, Tieren und symbolischen Gegenständen, die alle mit Zhong Kui assoziiert werden, kann dessen Blick in den Spiegel als ein Akt der Vertreibung böser Geister interpretiert werden. Man glaubte in China traditionellerweise, dass Spiegel „die Macht besitzen, das Böse abzuwehren, da die Gestalt jedes unsichtbaren Geistes sichtbar wird, sobald er sich im Spiegel spiegelt“.23 Interessanterweise hält Zhong Kui in diesem Gemälde einen antiken Bronzespiegel, dessen Rückseite eine Inschrift in archaischer Siegelschrift (zhuanshu 篆書) sowie ein Dekor, das an das für Ritualgefäße der Shang-Dynastie typische spiralförmige Donnermuster (leiwen 雷紋) erinnert, trägt. Damit spiegelt die Ikonografie des Bildes also den damaligen Zeitgeist und die Kultur im China der späten Qing-Zeit mit ihrer Vorliebe für alles Antike sowie dem ausgeprägten Interesse am Sammeln antiker und antikisierender Bronzeobjekte – wie eben jener, die sich neben dem Spiegel und dem rituellen Weingefäß noch auf dem Bild befinden: ein Gefäß vom Typ gu 觥, ein dreibeiniger Kessel und ein Räucherstäbchenhalter.

Als Bilder mit Spiegeln bieten solche Werke nützliche Einblicke und mögliche Bezugspunkte nicht zuletzt aufgrund ihres Detailreichtums und der präzisen Schilderung. Dennoch ist ihre Aussagekraft als historische Quelle (wie jede andere Form kunsthistorischen Erzählens) beschränkt. Derartige Beispiele unterliegen dem subjektiven Blick der jeweiligen Maler:innen und Autor:innen, bieten aber insofern wertvolle kulturelle und kunsthistorische Hinweise, als dass sie die jeweils vorherrschenden zeit- und ortsspezifischen Sichtweisen überliefern und damit auch die unterschiedlichen und sich im Lauf der Geschichte verändernden Funktionen und Bedeutungen von Objekten – in diesem Fall von Spiegeln – reflektieren.

Gesicht auf Gesicht, Rücken auf Rücken: Spiegelungen in chinesischen Bronzespiegeln und auf Westermanns Hinterglasarbeiten

Die Betrachtung altchinesischer Bronzespiegel führt uns zurück zu der Beobachtung, dass ihr Funktionswandel vom rituellen Gerät zum Instrument der Selbstreflexion historisch gesehen eine neue Form der Selbstwahrnehmung und der gesteigerten Aufmerksamkeit für das physische Erscheinungsbild markiert. Für die Gattung der Bronzespiegel sind die doppelseitige Betrachtung sowie der transitorische Blick charakteristisch, denn sie können immer von vorne und von hinten betrachtet werden. Sowohl Vorder- als auch Rückseite weisen Bilder auf, die einander spielerisch ergänzen, wenn sich der oder die Betrachter:in sein oder ihr (körperliches oder imaginäres) Selbst vor Augen führt. In der Tat haben seit „der Frühzeit der chinesischen Geschichte […] Bronzespiegel eine bedeutende Rolle bei der Reflexion des Gesichts der chinesischen Bevölkerung [gespielt], sowohl im buchstäblichen als auch im symbolischen Sinn.“24 Gerade der oben erwähnte frühe Bronzespiegel mit der Darstellung eines menschlichen Gesichts, das unseren Blick zu erwidern scheint, veranschaulicht dies auf grundlegende und prototypische Weise.

Das ästhetische Potenzial und die Wirkmacht der Bronzespiegel beruhen auf der Vorstellungskraft und den Erwartungen der Betrachtenden, hervorgerufen durch die visuellen Täuschungen und Anspielungen, die ihrerseits wiederum von den jeweiligen in das Material eingeschriebenen Motiven und Texten evoziert werden. Dem Spiegel kommt dabei selbst Bedeutung zu, er wird zu etwas Begehrtem, eine kostbare Ware, aber er bleibt zugleich auch eine Projektionsfläche, die die innersten Sehnsüchte und Klagen, Erinnerungen und Hoffnungen eines Menschen erfasst und einfängt. Betrachten wir heute die eleganten Bronzespiegel aus der Hochzeit der Tang-Dynastie (617/618–907), fragt man sich, welche Hoffnungen und Sehnsüchte ihre Besitzer: innen wohl gehabt haben – oder einfach nur, wie ihre Gesichter ausgesehen haben mögen. Rekonstruktionsversuche wie diejenigen in den oben beschriebenen und im TAM aufbewahrten Gemälden können bis zu einem gewissen Grad als mögliche Bezugspunkte dienen. Wie bereits erwähnt, können sie ungeachtet ihrer beschränkten Eignung als historische Quellen noch immer nützliche Einblicke in zeitgenössische Perspektiven bieten.

Die materielle Form der Bronzespiegel sieht vor, dass man diese in der Hand hält und von vorne wie von hinten betrachtet. Diese beiden Aspekte der doppelten Betrachtungsmöglichkeit sowie des transitorischen Blickes finden sich in Westermanns Hinterglaswerken wieder und weisen diese somit als tatsächliche Spiegel aus. Natürlich können Westermanns „Spiegel“ nicht wie die chinesischen Vorläufer in der Hand gehalten und umgedreht werden, aber ihre übereinander gelagerten Ebenen und der transitorische Blick basieren ebenfalls auf der spezifischen Beschaffenheit des Materials und der Anlage als Objekt, das auf der Rückseite (der Glasscheibe) Darstellungen kulturspezifischer Bildmotive und ikonischer Symbole trägt, die sich im Moment der Betrachtung mit dem Spiegelbild der betrachtenden Person überlagern. Wie die chinesischen Bronzespiegel, die es erlauben, zwischen zwei alternativen, einander ergänzenden Seiten zu wählen, laden uns Westermanns Hinterglasbilder ein, sich für eine Seite beziehungsweise einen Standpunkt oder Blickwinkel zu entscheiden:

„Zudem wird die Spiegelung des Betrachters oder der Betrachterin auf der Oberfläche der Glasscheibe essentieller Bestandteil der Bildrezeption: Es bleibt den Betrachtenden überlassen, auf die eigene Spiegelung auf der Oberfläche oder auf das Motiv hinter der Scheibe zu fokussieren.“25

Wie Spiegel vereinen auch Westermanns Bilder selbstreferentiell mehrere gleichzeitig in Kraft tretende Ebenen der visuellen Wahrnehmung sowohl physisch als auch psychologisch in sich. Als selbstreferentielle Rahmen konzipiert, die mit der Natur der Reflexion spielen, beziehen sie die vielfältigen Aspekte von Illusion, Allusion und Flüchtigkeit ein. Bezüglich der Entwicklung seiner Stillleben im Lauf der Zeit stellt Westermann fest: „Meine frühen Stilllebenbilder wurden so durch Bilder über das Genre des Stilllebens abgelöst, die die inhärenten Mechanismen des Zeigens und Entziehens selbst thematisieren.“26 Die selbstreflexive Natur seiner Arbeiten zeigt sich auf vielen Ebenen, nicht zuletzt in der bildlichen Umsetzung seiner Motive, die sich oftmals im Bildgrund selbst spiegeln.27

Westermanns Hinterglasbilder reflektieren nicht nur die jeweiligen Betrachter: innen, die vor ihnen stehen (wie zum Beispiel den Künstler selbst, wenn er sein Spiegelbild fotografiert). Sie spiegeln auch – und integrieren damit optisch – die tatsächliche ortspezifische Umgebung, das Setting und die Szenerie, in die sie eingebettet sind und wo sie im „realen Raum“ (der im Fall der Fotomontagen mehr oder minder fiktiv ist) erfahren werden. Sie bieten den Betrachtenden damit unterschiedliche Perspektiven als subjektivierte Objekte. Je nachdem wo, weshalb und wie eine Arbeit präsentiert wird, verändern sich die Perspektiven, wie das Beispiel der Chinesischen Orchidee (Hommage an Ma Lin) zeigt: Einerseits ist sie in eine Fotomontage eingefügt, wo sie halb hinter den rustikalen alten Holztüren des Himalayas Art Museums bei Shanghai verschwindet; andererseits zeigt eine Installationsansicht, wie sie realiter den nüchternen White-Cube des EIGEN + ART Lab in Berlin bespielt hat.

Das Woher und Wohin des Bildes

Wie bereits zu Beginn bemerkt, war es nicht mein Anspruch, die chinesischen Bildmotive in Thilo Westermanns Hinterglaswerken zu erörtern oder analysieren. Stattdessen habe ich das kunsthistorische Objektiv der chinesischen Bronzespiegel gewählt, um Westermanns Arbeiten als „Spiegel“ zu beleuchten. Dies geschah auf der Grundlage der physischen Eigenschaften und des transformativen Potenzials der Kunstwerke als Form, Inhalt, Material und Medium sowie vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass die Werke als reflektierende und projektive Instrumente der Vorstellung, Imagination und Gestaltung des Selbst bedeutsam sind. In meiner Erörterung chinesischer Bronzespiegel und mit Blick auf die Schlussfolgerung zu Westermanns Arbeiten hinter Glas sind zwei Aspekte hervorzuheben, die beiden Kontexten gemeinsam sind: einerseits ihr originärer Charakter als reflektierendes und projektives Instrument des Selbst, d. h. die handgefertigten Bilder auf der Rückseite des Spiegels bzw. unter der Glasscheibe; andererseits die Spiegelung des menschlichen Antlitzes auf der Vorderseite bzw. Oberfläche, die zwangsläufig mit dem Blick der Betrachtenden einsetzt.

In Westermanns Hinterglasbildern wird das Zusammenspiel dieser Aspekte unmittelbar deutlich, wenngleich es sich als komplex und schwer fassbar darstellt. Waren chinesische Bronzespiegel nicht dafür konzipiert, über sie als Spiegel nachzudenken, ist genau dies bei Westermanns Arbeiten der Fall. Bezeichnenderweise werden die Betrachtenden von Westermanns Bildern ganz unerwartet mit ihrem eigenen Spiegelbild konfrontiert (und bis zu einem gewissen Grad auch mit demjenigen ihrer räumlichen Umgebung), was einen Augenblick des Zögerns verursacht. Man registriert und beobachtet die visuelle Wirkung dieser Werke ganz unweigerlich durch bewusste Selbstreflexion, wie kurz oder flüchtig diese auch sein mag. Stehen wir vor Westermanns Kunstwerken, können wir unserem eigenen Bild weder entkommen noch es zum Verschwinden bringen. Diese „Störung“ will zumindest irgendwie mit dem Bild versöhnt werden, das sich unter der Oberfläche der Glasscheibe zu erkennen gibt.

Solche Effekte sind von Westermann durchaus beabsichtigt. Erst kürzlich, als ich ihn in seinem Atelier besuchte, war es mir nicht möglich, sein Hinterglasbild Chinesische Orchidee (Hommage an Ma Lin) (2014) zufriedenstellend zu fotografieren. So sehr ich mich auch von verschiedensten Blickwinkeln aus bemühte, konnte ich es nicht verhindern, dass meine Hand (mit der Kamera) auf der Glasoberfläche des Bildes zu sehen ist. Diese Erfahrung bringt mich wieder an den Anfang meiner Betrachtung zurück. In ihrer spezifischen Form bringt Westermanns Hinterglaskunst ein spiegelndes „Etwas“ hervor, das von Natur aus anziehend ist, weil es illusorisch, allusiv und flüchtig ist und sich somit unserem direkten Zugriff entzieht.

Westermanns Werke lassen sich am besten in der direkten, performativen Betrachtung vor Ort erfahren. Sie entfalten ihre volle Bedeutung nur in den Augen ihrer Betrachter:innen, die sich selbst innerhalb einer ortspezifischen Situation und einem bestimmten Augenblick sehen. Mangels eines besseren Beispiels möchte ich mit einer weiteren fotografischen Aufnahme schließen, die ich ebenfalls während meines Atelierbesuchs angefertigt habe und die im vorliegenden Katalog auf den Seiten 104/105 abgedruckt ist. Zunächst dachte ich, ich könnte diese Aufnahme nie verwenden, da auch hier wieder die Spiegelung meines Körpers auf dem fotografierten Kunstwerk zu erkennen ist. Rückblickend betrachtet, nutze ich diese Fotografie nun aber nicht nur, weil sie meine letzte Begegnung mit Westermanns Hinterglasbildern in situ wiedergibt, sondern auch, weil sie – wenn auch nicht in ästhetisch perfekter, so doch auf viel elementarere Weise – genau das einfängt, was ich für eine ganz wesentliche Eigenschaft von Westermanns Arbeiten halte. Um zu meiner Ausgangsfrage zurückzukehren, was wir in Thilo Westermanns Kunstwerken sehen, möge also diese eine unter vielen möglichen Antworten genügen, um meine Untersuchung zu beschließen: Betrachten wir Westermanns Kunstwerke im Original, sehen wir uns selbst – vielmehr unser strittiges, umkämpftes Selbst und dessen Spiegelung im Moment des Zögerns. Wir sind es gewohnt, in vertraute, sogenannte funktionale Spiegel zu blicken. Diese fordern aber weder uns noch das Bild, das wir für eine wahrheitsgetreue Spiegelung unserer selbst halten, heraus. Westermanns Spiegel hingegen konfrontieren uns mit der Frage nach dem Woher und Wohin mit unserem Bild.


Dem Tsinghua University Art Museum (TAM), Peking, danke ich herzlich für die großzügige Genehmigung der Reproduktion von Abbildungen ausgewählter Exponate aus der Sammlung. Besonderer Dank gebührt meinem Kollegen, dem TAM-Kurator Tan Shengguang 談盛廣, für die Unterstützung bei der Bildbeschaffung und für den Rat bei objektbezogenen Fragen. Die chinesischen Begriffe in diesem Text wurden in Standard-Pinyin transkribiert.

1 Thilo Westermann, Dossier, 1.4.2021.

2 Die ikonografischen und symbolischen Bedeutungen von Westermanns Motiven, die sich auf chinesische Kunsttraditionen beziehen, wurden bereits an anderer Stelle erörtert. Vgl. Peng Lai und Zheng Hong in Migrations by Thilo Westermann, Mailand 2023, S. 15–43 und 99–121 bzw. 173–200 und 206–225.

3 Diese unterscheidet sich von den modernen Glasspiegeln, die ab der späten Ming-Dynastie vorherrschen (1368–1644).

4 Möglichkeiten für weitere kulturübergreifende Untersuchungen wären zum Beispiel Erörterungen von Westermanns Arbeiten im Licht anderer kunsthistorischer Gattungen, wie zum Beispiel bemalter chinesischer Paravents oder Fächer, aber auch chinesischer Siegel respektive der Kunst des Siegelschnitzens. Solche Untersuchungen würden sicher fruchtbare Diskussionen zu Westermanns Hinterglasbildern und Fotomontagen anstoßen.

5 Die Fotomontage existiert in zwei Versionen: Während die hier erwähnte kleinformatige Papierversion die Spieglung des Fotografen zeigt, wurde diese in der größeren Diasec-Version hinter Glas aus dem Bild entfernt (vgl. Abb. 34 und 53).

6 Schuyler Cammann, „Significant Patterns on Chinese Bronze Mirrors“, in: Archives of the Chinese Art Society of America, 9, 1955, S. 43–62, hier S. 43.

7 Für eine detailliertere Einführung in die historische Entwicklung von Bronzespiegeln in China in westlicher Sprache siehe ebd.; Susan Costello, „An Investigation of Early Chinese Bronze Mirrors at the Harvard University Art Museums“, wissenschaftlicher Artikel, präsentiert im Rahmen der Association of North American Graduate Programs in Conservation (ANAGPIC) Annual Student Conference 2005, https://resources.culturalheritage. org/anagpic-student-papers/anagpic-2005-student-papers/ (8.10.2021); Antonia Finnane, „Folding Fans and Early Modern Mirrors“, in: Martin J. Powers und Katherine R. Tsiang (Hrsg.), A Companion to Chinese Art, Chichester 2016, S. 392–410.

8 Siehe Finnane 2016 (wie Anm. 7), S. 393.

9 Ebd., S. 394f.

10 Ebd., S. 396.

11 Wie von Finnane im Kontext der chinesischen Ming-Periode erörtert, siehe ebd., S. 393.

12 Costello 2005 (wie Anm. 7), S. 5f. Wie Costello, heute Conservator of Objects and Sculpture am Harvard Art Museum, bemerkte, wurden Bronzespiegel zusätzlich zu ihrem praktischen Einsatz „aus rituellen Gründen geschätzt, die in Zusammenhang mit der Kraft der Reflexion standen. Chinesische Geister, die guten wie die bösen, bedrängen angeblich die Erde und suchen die Lebenden heim. Spiegel verfügen über die Macht, das Böse abzuwehren, da die Gestalt jedes unsichtbaren Geistes sichtbar wird, sobald er im Spiegel reflektiert wird.“ Siehe ebd., S. 6.

13 Siehe ebd., S. 3. Costello bemerkt, dass die runde Form von Bronzespiegeln auch als symbolische Darstellung des Himmels galt. „Die Chines:innen glaubten, dass es durch den Einsatz von Symbolen, die das Universum darstellen, möglich sei, einige der universellen Kräfte zu erlangen, um sowohl Stärke als auch Schutz vor dem Bösen zu gewinnen. So repräsentierten zum Beispiel runde Formen den Himmel, die Erde war quadratisch und kleine Kuppeln standen für Sterne und Sternbilder.“

14 Ebd.

15 Cammann 1955 (wie Anm. 6), S. 43.

16 Siehe Costello 2005 (wie Anm. 7), S. 2f. Für weitere Informationen zur sozialen Mobilität und zu den wichtigen Veränderungen in der materiellen und visuellen Kultur dieser Epoche in China siehe die Publikation von Craig Clunas, Superfluous Things: Material Culture and Social Status in Early Modern China, Cambridge 1991; siehe auch: Shao-Lan Hertel, „Reconstructing Early Modern Architectural Spaces in Late-Ming (1368–1644) and Early- Qing (1644–1912) China: Formats and Functions of Large-Scale Calligraphy“, in: Andrew Hopkins (Hrsg.), Lost and Found in Translation: Citation and Early Modern Architecture, Cambridge, in Vorbereitung.

17 Finnane 2016 (wie Anm. 7), S. 396.

18 Ebd., S. 397.

19 Siehe ebd., S. 397f.

20 Zhong tao san bai shu, yanse yi yi zhi. Mo xiang Han gong shuo, meiren zheng zi wei. 種桃 三百樹,顏色亦異之。莫向漢宮說,美人爭自為。

21 Für weitere Erörterungen im generischen Kontext von „Gemälde schöner Frauen“ siehe Shao-Lan Hertel, „Portrait of Wang Yuyan Drawing Orchids“, in: Gesichter Chinas: Porträtmalerei der Ming- und Qing-Dynastie (1368–1912), hrsg. von Klaas Ruitenbeek, Ausst.-Kat. Museum für Asiatische Kunst – Staatliche Museen zu Berlin, Petersberg 2017, S. 176f.

22 Genauer gesagt wurden chinesischer Kalmuswein (changpujiu 菖蒲酒, worauf der Titel des Gemäldes verweist) wie auch die Mispelfrüchte traditionellerweise während des Drachenbootfestes serviert, das am fünften Tag des fünften Mondmonats stattfand.

23 Costello 2005 (wie Anm. 7), S. 6. Zum frühchinesischen Glauben, dass Spiegel über die Eigenschaft verfügten, böse Geister fernzuhalten, siehe ebd., S. 3 und 6; siehe auch Anm. 12 und 13.

24 Ich zitiere June Li, die Organisatorin der Ausstellung Ancient Chinese Bronze Mirrors from the Lloyd Cotsen Collection in den Virginia Steele Scott Galleries of American Art, der Huntington Library, Art Collections und den Botanical Gardens, San Marino, Kalifornien (12.11.2011–14.5.2012); siehe https://www.huntington.org/ancient-chinese-bronze-mirrors (8.10.2021).

25 Westermann 2021 (wie Anm. 1), S. 1.

26 Ebd. Zur Poesie von Enthüllen und Erscheinen, Entziehen und Verschwinden ließe sich noch vieles schreiben. Diese Vorstellungen haben das philosophische und ästhetische Gedankengut der chinesischen Kulturgeschichte wesentlich geprägt. Ich kann diese Konzepte hier nur im Ansatz behandeln.

27 Das Thema der Achsensymmetrie wird zudem in Westermanns „Bildpaaren“ betont, wie sie zum Beispiel in den Fotomontagen „Souvenir de Baden-Baden“ in der Villa Stéphanie, Baden-Baden 2017–2020 (2020), „Bougainvillea“ in der Villa Stéphanie, Baden-Baden 2017–2021 (2021), „Rosenbouquet“ und „Rosenbouquet“ in einer Privatsammlung, New York, 2015 (2015) und „Rose Westerland (3)“ und „Rose Westerland (3)“ in einer Privatsammlung, New York, 2015 (2015) vorliegen. Letztere beide enthalten zudem gerahmte Spiegel als visuelles Element.

Übersetzung: Mark Kyburz
Publiziert in Vitromusée Romont (Hg.), Thilo Westermann et l'art de dessiner sous verre, Berlin/Boston 2022, S. 165-179.